Mirko Bott

Autor und Regisseur

Musical-Zeitung.de: Im Volkstheater Rostock haben Sie 2010 „Die lustige Witwe“ inszeniert. Geht man als Regisseur bei einem Operettenklassiker anders vor als bei Musicals oder Revuen?

Mirko Bott: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten im Jahr 2010, dieses Genre aus Ur-Opas Zeiten auf die Bühne zu bringen. Immer wieder wird versucht, es zu aktualisieren, eine politische oder historische Ebene hinein zu inszenieren – dem können die wenigsten Operetten inhaltlich wie musikalisch aber gerecht werden. Im Gegenteil: In der Regel gehen sie daran kaputt. Es sind reine Unterhaltungsstücke, die lustige Herzschmerz-Oper des kleinen Mannes – und das meine ich nicht abwertend. Ich liebe Operette! Ich versuche das nostalgische Ambiente eigentlich immer zu erhalten und dabei nur leicht den Staub des Antiquierten weg zu pusten, Handlung und Humor ins Heute rüber zu holen – also durch Tempo, gutes Timing in den Dialogen und ein paar leicht brechende Anachronismen. Und wenn es kitschig wird, inszeniere ich es so kitschig, dass es einen leichten Bruch gibt. Der Humor in den Dialogen ist halt der Humor aus Kaisers Zeiten und – mit Verlaub – schon arg verklemmt. Das hau ich raus und rette so die Substanz – wie bei einem modernisierten Altbau. Das ist bei einer 70er-Jahre-Revue wie „Karamba!“ ähnlich.

Musical-Zeitung.de: Sie haben an den Büchern zu Familienmusicals zusammen mit Christian Berg geschrieben, zum Beispiel „Alice im Wunderland“. Worin lag bei diesen Musicals die große besondere Herausforderung für Sie?

Mirko Bott: Die größte Herausforderung für mich war, dass ich – anders als Christian Berg –, noch nie vorher für Kinder geschrieben habe und dass man da eine ganz andere Ansprache benötigt. Dialoge müssen viel klarer geschrieben sein – ich neige zu langen Schachtelsätzen oder zweideutigen Anspielungen, das geht dabei natürlich alles gar nicht. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass man sich aber nicht „herablässt“, sondern auch als Autor von Kinderstücken sein Publikum auf Augenhöhe ansieht.

Musical-Zeitung.de: Ob Operette, Musical oder Musikrevue, bisher haben Sie alle drei Musikgenres als Autor oder Regisseur bedient. Warum hängt ihr Herz besonders am Musiktheater?

Mirko Bott: Weil ich Musik liebe und in schönen Melodien meine eigene Seele baden lassen kann. Also ganz egoistisch! Und da bin ich auch nicht festgelegt, das kann bei Wagner, Verdi oder Operetten, beim maritimen Freddy-Quinn-Schlager oder bei der „West Side Story“ genauso wie bei „Heiße Ecke“ sein.

Musical-Zeitung.de: Die Schlagerrevue "Karamba“ lief lange Zeit im Schmidt Theater. Wie sind dazu die Inhalte entstanden?

Mirko Bott: Ich korrigiere: Sie läuft immer noch, im Herbst 2011 steht sie wieder für zweieinhalb Monate auf dem Programm im Schmidt und ab Ende März 2012 gehen wir mit der Produktion für drei Monate ins Rhein-Main-Gebiet, genauer: in die Willy-Brandt-Halle nach Mühlheim bei Frankfurt. Das Theater ist wunderschön am Mainufer zwischen Hanau und Offenbach gelegen! Martin Lingnau und ich sind ja beide in den 70ern aufgewachsen, also die ersten Erinnerungen überhaupt für uns war dieses Jahrzehnt. Da liefen die ganzen Schlager aus „Karamba!“ halt im Radio, wenn man aus der Grundschule kam. Ich interessiere mich sehr für deutsche Geschichte – von Karl dem Großen bis zur Wiedervereinigung und da sind die 70er schon ein großes Kapitel, das ich mir dann auch später – unabhängig von „Karamba!“ – erarbeitet habe. Die 68er, so angestaubt und betonköpfig ich sie auch heute finde, haben für das darauffolgende Jahrzehnt eine Menge Liberalisierendes angestoßen, außerdem wurde das Jahrzehnt geprägt durch unglaublich viele gesellschaftliche Ereignisse wie verbrecherischen Terror, den Anschlag auf die Olympischen Spiele, die Landshut-Entführung, Nachrüstung, Ölkrise und so weiter. Als mit dem Wirtschaftswunder Ende der 50er auch die Reiselust der Deutschen aufkam, gab es einen Italien-Schlager nach dem nächsten. Und so steht beispielsweise für die 70er die Erneuerung des Scheidungsrechts – dazu sang Andrea Jürgens dann „Aber dabei liebe ich Euch beide“. Nach Italien entdeckten wir damals neue Reiseziele – und plötzlich erklangen in der Hitparade Schlager über Griechenland und Spanien. Und die terroristische Bedrohung wurde durch Partyhits von Leuten wie Tony Marshall und Roberto Blanco weggesungen.

Musical-Zeitung.de: Worauf legen Sie als Dozent der Hamburg School of Entertainment besonderen Wert? Was möchten Sie den Studierenden aus Ihrer Erfahrung heraus vermitteln?

Mirko Bott: Ich versuche, in meinem Fach Theatergeschichte über die Vermittlung von Historischem hinaus vor allem das kritische und differenzierte Denken der Studenten zu fördern, dass sie artikulieren können, warum ein Stück, eine Aufführung „super“ oder „nicht so toll“ ist. Auch dass es mehr spannendes Musiktheater gibt, als nur die aktuell laufenden Musical-Großproduktionen. Und wenn ich Zeit habe, dann zeig ich gern mal einen alten Schwarz-weiß-Film von Billy Wilder, Ernst Lubitsch oder Hitchcock. Viele würden sich das privat nie ansehen – und dann freue ich mich darüber, wenn ich die Begeisterung in den Augen der Studenten über den „ollen Schinken“ sehe. Mit einer Stunde pro Woche und Jahrgang kommt man nicht allzu weit, aber ich versuche die Lust zu schüren, den eigenen beruflichen Horizont ständig zu erweitern.

Musical-Zeitung.de: Als Programmchef für das Schmidt Theater und Schmidts TIVOLI auf dem Kiez haben Sie – wie Sie sagen – „den schönsten Arbeitsplatz der Welt“. Was reizt Sie am meisten an dem Arbeitsplatz?

Mirko Bott: Zum einen die Freiheit, die den Kreativen am Haus von den Leitern Corny Littmann und Norbert Aust gelassen wird, zum anderen das Familiäre und das Vertrauen auf die Fähigkeiten jedes Einzelnen, der am Schmidt beteiligt ist – und damit meine ich nicht nur die, die in vorderster Front auf der Bühne stehen, sondern zum Beispiel auch den Kellner im Saal, der mit einem herzlichen Empfang des Publikums zum Ganzen erheblich beiträgt oder den Haustechniker, der im Notfall auch noch nachts anrückt, um irgendwas zu reparieren. Einer für alle, alle für einen – ein schönes Gefühl, wenn man das über seinen Arbeitsplatz sagen kann.

Musical-Zeitung.de: Welches ist Ihr aktuelles Lieblingsmusical und warum?

Mirko Bott: Ich bin ja doch eher nostalgisch veranlagt … also eigentlich sind es „Cabaret“, „La Cage aux Folles“ und „West Side Story“, aber von den neueren sehe ich am allerliebsten „Villa Sonnenschein“ von den Kollegen Martin Lingnau, Heiko Wohlgemuth und Thomas Matschoß. Dieses Zusammenspiel von Menschen und Puppen auf der Bühne hat einen unglaublichen Reiz und eröffnet großartige komödiantische Möglichkeiten. Auch Sentimentales wirkt zum Beispiel nie kitschig, weil es durch die Puppen immer ein wenig gebrochen wird, aber das Anrührende dennoch zulässt. Der musikalische Umfang ist auch sehr groß, das geht von der Pop-Ballade über den Latino-Song bis hin ins Operettige. Bei aktuellen Musicals ist das oft so ein Einheitsbrei, wo der Raum fehlt für eine Hitparade an Songs, die man auch noch gerne mit nach Hause mitnimmt.

Musical-Zeitung.de: Vielen Dank für das nette Interview!

Interview: 11/2010 aktualisiert: 01/2012